Aus! Digitale Vorzeigestadt überträgt keine Live-Übertragungen aus den Ratssaal
„Wir sind enttäuscht“, sagte Fraktionsvorsitzende Susanne Cichos. Es war eine Absage ohne Ansage, ein zutiefst irritierendes Verhalten, ein Bärendienst für die Demokratie. In einer geheimen Abstimmung stimmten am Donnerstag 26 von 48 Ratsmitglieder gegen die Einführung des Livestreams in Gelsenkirchen. „Wir fühlen uns verschaukelt“, resümierte der stellvertretende Fraktionschef Ralf Robert Hundt.
Doch der Reihe nach: Vor mehr als zehn Jahren hatten die Liberalen bereits die Idee, einen Livestream aus dem Ratssaal, die Übertragung der Ratssitzungen, zu beantragen. Sie scheiterten an der ablehnenden Allmacht der Mehrheitspartei SPD. Im Dezember 2020, nachdem Städte wie Gladbeck, Essen, Düsseldorf, Leverkusen und Bonn die Idee einer digitalen und bürgerfreundlichen Auffrischung mit Live-Übertragung und späteren Abrufen der Videos auf der städtischen Internetseite bereits erfolgreich umgesetzt hatten, katapultierten die Grünen das Thema erneut auf die Tagesordnung. Nach mehreren Verschiebungen der Entscheidung durch die Groko, nach stundenlangen Diskussionen und tagelangen Recherchearbeiten der Verwaltung, die akribisch und sehr ambitioniert allein 23 Fragen der Groko abarbeitete, brachte Dias Regierungsduo am Donnerstag einen eigenen Antrag ein.
Für die Liberalen und auch die Grünen signalisierte das Vorgehen, dass endlich auch die Notwendigkeit der Transparenz politischer Arbeit in Gelsenkirchen bei der Groko angekommen ist. Doch weit gefehlt. Maximal 30 Prozent der Groko-Mitglieder sollen nach Recherchen der Grünen mit „Ja“ zum Lifestream gestimmt haben. Denn von den 48 Stimmen entfielen allein 26 (!) Auf die Groko. „Ich kann respektieren, dass ehrenamtlich arbeitende Politiker, die keine 27 Rhetorik-Kurse absolviert haben, sich vor einer Kamera unsicher fühlen und den Livestream ablehnen“, erläuterte Susanne Cichos. „Aber ich erwarte, dass sie so viel Rückgrat und Anstand haben, diese ihre Ansicht auch zu vertreten“. Für Ralf Robert Hundt ist dieses Vorgehen auch ein Bruch in einer auf Vertrauen basierenden Zusammenarbeit. „Die Groko hat uns signalisiert, dass sie für einen Livestream stimmt, indem sie uns für einen gemeinsamen Antrag begeistern wollte und ja auch konnte“, so Hundt. „Das Ganze wirkt wie eine Farce.“
„Wir können nur gewinnen, wenn mehr Menschen Einblick in die Kommunalpolitik bekommen“, ist Susanne Cichos überzeugt. „Am Donnerstag wurde in Gelsenkirchen die große Chance verspielt, Politik transparenter zu machen, junge Menschen auf dem digitalen Weg an die Politik heranzuführen, das Image der Politiker zu verbessern, verloren gegangenes Vertrauen wieder auf- und Politikverdrossenheit abzubauen. Das ist ausgesprochen schade.“